„Verein aus Hochfeld bleibt unabhängig, engagiert, unbequem“

„In den vergangenen Monaten hatten die Mitglieder des „Vereins für die solidarische Gesellschaft der Vielen“ alle Hände voll zu tun. Erklärtes Ziel ist es, Zugewanderten eine Stimme zu geben und auf Missstände in Duisburg, insbesondere in Hochfeld, aufmerksam zu machen. Also organisierten die Mitglieder eine Mahnwache vor Häusern, die potenziell von der Taskforce Schrottimmobilien der Stadt Duisburg geräumt werden sollten. Der Verein schloss sich dem „Fest für Alle“ an und machte auf die Armut von vielen Menschen in Zeiten der Krise aufmerksam.

Ehrenamtliche beraten Zugewanderte, die Schreiben vom Amt bekommen oder ihre Wohnung verloren haben – im Schnitt 50 Personen pro Woche. In der Community haben sie sich längt als verlässliche Ansprechpartner einen Namen gemacht. Im April eröffnete der Verein das „Zentrum für Kultur“ an der Johanniterstraße, in dem seitdem auch Lesungen, Diskussionen oder Kneipen-Abende stattfinden. Im Gespräch blicken die Vereinsvorsitzende Lena Wiese und Klaus Steffen zurück, wie sich Hochfeld in den vergangenen Monaten entwickelt hat – und formulieren Wünsche für die Zukunft.

Der Verein hat sich bereits 2021 gegründet und auch in 2022 gab es zahlreiche Häuserräumungen durch die Taskforce in Hochfeld. Wie hat sich Ihre Arbeit in den vergangenen Monaten entwickelt?

Wiese: Durch das Zentrum für Kultur haben wir jetzt eine feste Anlaufstelle und die Leute wissen, wo sie uns erreichen können. Wir haben auch vorher schon Beratungen in Hochfeld angeboten, hatten aber keine festen Räume. Außerdem haben wir es geschafft, durch den Besuch von Mehmet Daimagüler, dem Antiziganismusbeauftragten des Bundes, bundesweit Aufmerksamkeit zu schaffen für die Themen in Hochfeld.

Mit welchen Problemen wenden sich die Menschen an den Verein?

Wiese: Ganz unterschiedlich. Das können Schreiben vom Vermieter sein oder Schreiben von anderen Ämtern. Manchmal wird den Mietern mit Kündigung gedroht oder die Leute kommen zu uns, weil in ihren Häusern etwas nicht in Ordnung ist. Es ist aber schwierig, sich in solchen Fällen an die Stadt zu wenden, vielleicht schickt die Stadt dann ausgerechnet wieder die Task Force zu den Gebäuden. Damit ist den Bewohnern auch nicht geholfen. Hinzu kommt, dass viele Zugewanderte ein Gesundheitsproblem haben, weil sie nicht krankenversichert sind. Außer die Malteser-Ambulanz in der Altstadt gibt es für diese Personen keine Anlaufstelle, zum Arzt zu gehen. Außerdem ist ja bekannt, dass es zu wenig Kita- und Schulplätze für Kinder aus Zuwandererfamilien gibt.

Und wie finanzieren Sie Ihre Arbeit?

Wiese: Wir bekommen keine strukturelle Förderung durch die Stadt oder andere Stelle. Uns ist es allerdings gelungen, eine Förderung für die Anschaffung eines Kultur-Trucks zu bekommen. Das ist ein alter Foodtruck, den können wir für unsere Angebote auch dann nutzen, falls es noch einmal einen Lockdown geben sollte. Um die Miete für die Räume zu finanzieren, haben wir zum Beispiel das Fest der Vielen im Rheinpark veranstaltet, aber das ist im besten Fall ein Nullsummenspiel, weil wir dort ja auch Ausgaben hatten. Wir haben versucht, einen Antrag beim Verfügungsfonds des Stadtteil-Teams zu stellen, allerdings ist das ein ziemlicher Aufwand – und man muss sowieso erst einmal in Vorkasse gehen.

Steffen: Im Zentrum für Kultur finden regelmäßig Kneipenabende und Veranstaltungen statt. Jedes Bier und jedes andere Getränk, dass dann über die Theke geht, hilft auch bei der Finanzierung.

Wiese: Es dürfte im nächsten Jahr aber auch schwieriger werden, nur mit Getränken die Miete zu erwirtschaften. Auch bei uns erhöhen sich die Energiekosten. Wir haben von unserem Versorger einen neuen Vertrag für Strom angeboten bekommen, da sollten wir mehr als das doppelte pro Monat zahlen.

Steffen: Ich bin gespannt, wie kleine Vereine durch diese Krise kommen wollen. So schnell wie die Politik in Corona-Zeiten Hilfen für die Kulturszene aufgelegt hat, so sehr vermisst man jetzt irgendeine finanzielle Unterstützung.

Wiese: Wir bieten hier regelmäßig Vorträge, Lesungen und Diskussionen an und wir haben viele Ideen, welche Referenten wir mal einladen könnten. Allerdings haben wir momentan kein großes Budget, um Honorare zu zahlen.

Warum haben Sie das Kulturzentrum mitten in Hochfeld eröffnet?

Steffen: Weil wir uns hier wohl fühlen. Wir wohnen hier alle in unmittelbarer Nähe, aber unsere Veranstaltungen werden auch von Leuten aus Neudorf, dem Dellviertel oder der Innenstadt besucht. Wir ersetzen das Angebot, das es in der Innenstadt nicht mehr gibt, dort ist ja abends nichts mehr los. Neulich haben wir zum Beispiel einen Bingo-Abend gemacht, der war rappelvoll. Das war eine Plattform für Sprachwitz und Improvisation. Jeder Teilnehmer hat ein Vorlage mit Zahlen und Buchstaben bekommen und das O haben wir „O wie Ordnungsamt“ aufgerufen. Das war sehr lustig und wird definitiv nochmal wiederholt.

Wiese: Wir sind ein Wohnzimmer für den Stadtteil und das Schöne an unserem Kiezbegriff ist, dass sich hier Hochfelder und Rumänen und Bulgaren auf Augenhöhe begegnen.

Nicht wenige haben in der Vergangenheit davon geträumt, dass Hochfeld gentrifiziert wird und sich zum neuen hippen Stadtteil entwickeln wird.

Steffen: Es ist nicht zu verleugnen, dass Hochfeld einen urbanen Charme hat, den es beispielsweise in Duissern nicht gibt. Hier ist Leben auf der Straße und man bekommt auch spät abends noch etwas zu essen. Meistens ist es aber so, dass, wenn ein Stadtteil erst einmal gentrifiziert ist, genau das verschwindet. Außerdem würde die Armut nur in andere Stadtteile verdrängt und verschwindet nicht so einfach.

Wiese: Man sollte auch nicht vergessen, dass Hochfeld Teil des Städtebauprogramms „Soziale Stadt“ ist und auf dieser Grundlage in den nächsten Jahren hier Millionen investiert werden. Das sind allerdings nur Investitionen in Steine und nicht ins soziale Zusammenleben.

2027 findet die Internationale Gartenausstellung (IGA) in Duisburg im Rheinpark statt. Danach soll alles schöner werden.

Steffen: Solche Hoffnungen gab es in Duisburg schonmal, nämlich nach dem Kulturhauptstadtjahr in Ruhrort. Da sollten dann nach den Kultur-Aktionen Investoren für den Stadtteil gefunden werden, es gab sogar Theaterproduktionen mit dem Titel „Der Investor“. Am Ende sind die Geldgeber doch nicht gekommen. Deshalb ist fraglich, was nach der IGA bleibt und inwieweit Hochfeld wirklich davon profitiert.

Was haben Sie sich für das Jahr 2023 vorgenommen?

Steffen: Das Fest der Vielen soll wieder im Rheinpark stattfinden. Außerdem wird es das Fest für Alle wohl weitergeben, wo wir aber nur ein Teil der Initiative sind. Im Zentrum wollen wir mehr Veranstaltungen wie Jamsessions oder Konzerte anbieten. Außerdem können gerne andere Vereine auf uns zukommen, die einen Raum suchen.

Wiese: Natürlich werden wir weiter auf der politischen Ebene versuchen, dass sich etwas im Sinne der Zugewanderten ändert und deren Probleme bei der Stadt Gehör finden. Das ist auch wieder das Gute daran, dass wir keine Unterstützung bekommen: Wir sind unabhängig und können unseren Mund aufmachen.“

DW: „Leben in Ruinen und Baucontainern“

Michollek, Nadine: Ganze zwanzig Minuten hatte ihre Familie, um die Habseligkeiten zu packen. Dann mussten sie ihre Wohnung verlassen. Von jetzt auf gleich. Als die siebzehnjährige Roxana aus der Schule kommt, stehen ihre Eltern und sechs Geschwister schon auf der Straße. Sie wissen nicht wohin, ob sie vielleicht sogar auf der Straße schlafen müssen. Das Bauordnungsamt Duisburg hat das komplette Wohnhaus geräumt. Der Grund: Bauliche Mängel.

Panisch ruft Roxanas Familie Verwandte und Freunde an, sucht eine Unterbringung. Ein Onkel sagt, dass sie vorerst bei ihm in Berlin wohnen können. Drei Monate sind sie dort. So lange musste Roxana ihre Ausbildung als Kinderpflegerin unterbrechen. Erst dann fanden sie und ihre Familie eine neue Wohnung in Duisburg. 

Hausräumungen sind in Duisburg keine Einzelfälle

Solche Räumungen gibt es öfter in Duisburg. Dort gibt es die sogenannte Taskforce „Problemimmobilien“, die Wohnhäuser auf bauliche Mängel überprüft. Praktisch läuft das oft so ab: Morgens findet eine Hausbegehung statt, mittags kommt das Ergebnis, es bestehe Gefahr für Leib und Leben, und dann steht die Taskforce schon mit blauen Müllsäcken zum Packen bereit. Allein im letzten Jahr sollen mehr als 500 Menschen von diesen Räumungen betroffen gewesen sein, sagt Lena Wiese vom Verein „Solidarische Gesellschaft der Vielen e. V.“, der die Betroffenen unterstützt. Meist treffen die Räumungen Menschen aus Rumänien und Bulgarien, oft Roma. Roxanas Familie migrierte auch aus Rumänien, ihre Mutter ist Romni.

Die geräumten Menschen stehen dann häufig auf der Straße, wissen nicht wohin sie sollen, sagt Wiese. Zwar biete die Stadt Notunterkünfte, allerdings lägen diese meist am äußersten Stadtrand. Kinder könnten so schwer ihre Schule erreichen. Außerdem seien die Unterkünfte oft nicht für Familien mit mehreren Kindern geeignet. Es handle sich um Container, in denen es pro Zimmer nur zwei Etagenbetten gebe, so Wiese.

Rassismus macht Wohnungssuche schwer

Bis die Betroffenen etwas Neues finden, kann es dauern. Rassismus mache es schwer. Roxana erzählt: „Sobald die Vermieter erfahren, dass wir aus Rumänien kommen, wollen sie die Wohnung nicht mehr vermieten. Sie sagen, wir würden unsere Miete nicht zahlen – und stehlen.“

In Dortmund gab es lange Zeit ähnliche Hausräumungen wie in Duisburg, doch mittlerweile geht die Stadt anders mit sogenannten „Problemimmobilien“ um. Lokale Vereine haben gemeinsam mit der Stadt Dortmund nach Lösungen gesucht. Werden an einem Haus bauliche Mängel festgestellt, werden diese entweder behoben oder es werden im Vorfeld neue Wohnungen gefunden, so dass die Menschen nicht plötzlich auf der Straße stehen.

Vereine und Wissenschaftler werfen Duisburg Rassismus vor

Die Stadt Duisburg sagt, so ein Vorgehen sei bei gravierenden Mängeln nicht möglich, da bei Gefahr für Leib und Leben umgehend gehandelt werden müsse.

Wiese wirft der Stadt Duisburg Rassismus vor, weil die Räumungen vor allem Menschen aus Rumänien und Bulgarien treffen, darunter viele Roma. Die Unabhängige Kommission Antiziganismus, die von 2019-2021 die Situation der Sinti und Roma in Deutschland untersucht hat, spricht ebenfalls von institutionellem Rassismus.

Verschiedene wissenschaftliche Studien zu Duisburg weisen darauf hin. So geben der Ethnologe Max Matter und der Sozialforscher Joachim Krauß an, Vertreter der Duisburger Stadtverwaltung hätten in Netzwerkkonferenzen zum Umgang mit Neu-Bürgern aus Rumänien und Bulgarien offen darüber gesprochen, dass es darum gehe, „für die Betroffenen die Atmosphäre so ungünstig zu gestalten, dass diese die Stadt verlassen“. Die Stadt Duisburg weist diese Vorwürfe entschieden zurück und erklärt, sie würde alle Menschen gleichbehandeln. […]

Auch Sinti-Community leidet unter schlechten Wohnbedingungen

Sinti leben schon seit mehr als 500 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Doch auch Mitglieder dieser Community müssen oft in sanierungsbedürftigen Siedlungen wohnen. In Köln beispielsweise waren Häuser so verfallen, dass viele Bewohner wegziehen mussten. Andere haben nicht einmal Häuser. Die Familie der Sintiza Jasmin Mettbach lebt in Duisburg nur in Baucontainern.

Der Ursprung der schlechten Wohnsituation findet sich in der Nachkriegszeit. Die NS-Verfolgung der Sinti und Roma wurde lange nicht anerkannt, der Rassismus setzte sich nach 1945 fort. Die Überlebenden der Todeslager hatten durch die Nazis alles verloren. Statt Hilfe zu erhalten wurden sie jedoch an den Rand der Städte in Elendsviertel gedrängt. Dort mussten sie teilweise bis 1975 in alten Bussen und Bahnwaggons leben.

An manchen Orten wollen die Kommunen jetzt, dass Sinti die Siedlungen verlassen, so zum Beispiel in Baden-Württemberg. Auch Jasmin macht sich Sorgen: „Wir haben ständig Angst, wir sind mit Angst groß geworden. Unser Platz wurde schon zwei Mal von heute auf morgen geräumt.“

Es gibt zwar aktuell keine Pläne, den Platz in Duisburg zu räumen. Allerdings gibt es eine Regelung, dass keine Sinti zuziehen dürfen, keine weiteren Baucontainer mehr zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, sobald die Kinder erwachsen sind und ausziehen wollen, müssen sie wegziehen. Der Platz stirbt dann quasi von selbst aus. Jasmin möchte zurück, um ihre Großmutter – eine NS-Überlebende – zu pflegen, aber die Stadt Duisburg erlaubt das nicht. 

„Ich wünsche mir eigentlich nur, dass unser Platz erhalten bleibt, dass wir ihn als jüngere Generation weiterführen können und unser Leben leben dürfen“, sagt Jasmin.“

Fest für Alle: Pauluskirchenvorplatz

„Fest für Alle“ an neuem Ort: Pauluskirche!

Für unser letztes Fest im Jahr verlassen wir den Park und laden am 11.12. zum solidarischen Get-together ab 15 Uhr auf den Vorplatz der Pauluskirche!

„Suppkultur“: Wie immer geben wir Essen und Trinken (Wer kann, gibt eine Spende) aus, nur diesmal aus dem Foodtruck des SGdV e.V.!

Syntopia steht weiterhin im „Umfairteil“-Pavillon bereit! Dort könnt ihr warme Anziehsachen und Dinge abgeben, die ihr gerne teilen möchtet oder mitnehmen, was ihr braucht.

Im „Forderungspavillon“ sammeln wir Eure Forderungen und Unterschriften unter unser „ManiFest“ oder ein Videostatement.

Wenn ihr uns bei der Vorbereitung helfen und unterstützen möchtet, meldet Euch gerne! Oder kommt am Donnerstag ab 19 Uhr ins Zentrum für Kultur zur Vollver-sammlung.

Danke und bis dahin,

mit solidarischen Grüßen aus Hochfeld!

Neulich in der Sozialberatung:

Wir besprechen anschließend mit den Familien den Vorfall und die Reaktionen fallen ganz unterschiedlich aus:

11jährige Tochter: das passiert ständig, dass die auflegen

13jährige Tochter, an uns alle adressiert: ich verstehe gar nicht, wie ihr bei der ganzen Sache und den ständigen Warteschleifen so ruhig bleiben könnt

Recht hat sie! Beide Familien warten seit mehr als sechs Monaten auf ihr Kindergeld und werden immer wieder vertröstet. Sonderprüfungen und in die Länge gezogene Verfahren sind bei Familien aus Rumänien und Bulgarien Normalität. Am ehesten leiden die Kinder darunter, aber die ständige Abwertung und Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft, hinterlässt natürlich bei allen Familienmitgliedern Spuren.

FSJ im Zentrum für Kultur Hochfeld

Ihr sucht eine Einsatzstelle für ein freiwilliges soziales Jahr und habt Lust auf Kultur, Soziales und Politik? Wir vergeben beginnend zum 01.01.2023 eine Stelle!

Bewerbt euch bis zum 09.12.22 per Mail an kontakt@sgdv.org mit einem Lebenslauf, ein paar Sätzen zu euren Interessen und eurer Motivation, bei uns das FSJ machen zu wollen.

Was erwartet euch:

– Vorbereitung und Begleitung von Kulturveranstaltungen, Festivals, unserer Sozialberatung und Workshops mit Kindern und Jugendlichen

– Einarbeitung in Arbeitsbereiche je nach euren Interessen (z.B. Öffentlichkeitsarbeit)

– Einbringen eigener Ideen und Umsetzung eigener Projekte

Was wir von euch erwarten:

– Engagement und Eigeninitiative

– Zuverlässigkeit und gewissenhaftes Arbeiten

– soziale Motivation und die Bereitschaft, dazuzulernen

– die Bereitschaft, auch abends und am Wochenende zu arbeiten

– Wünschenswert: Führerschein und handwerkliches Geschick

Uns ist bewusst: FSJ sind keine gut bezahlten Konzepte. Ihr werdet 350€ Taschengeld bekommen und die Sozialversicherungsbeiträge werden übernommen. Das FSJ kann auch als Wartezeit für einen Studienplatz anerkannt werden.

Das FSJ ist eine Kooperation mit den Falken NRW.