Presse: Rausschmiss ohne Warnung

„Wir sprechen hier von einer humanitären Krise“, sagt Wiese. „Was in Duisburg stattfindet, ist die systematische Entrechtung von marginalisierten Menschen.“ Seit 2012 räumt die Stadt Duisburg mithilfe der sogenannten Taskforce Problemimmobilien Mie­te­r*in­nen aus ihren Wohnungen. Allein in den letzten fünf Jahren hatten rund 1.200 davon einen rumänischen oder bulgarischen Hintergrund, etwa die Hälfte der Geräumten insgesamt. […]

„Nach unten treten ist immer einfach“, sagt Ulucan. Das wüssten nicht nur „die Deutschen“, auch manche türkischstämmige Leute hier seien offen rassistisch gegen die Menschen aus Rumänien. „Duisburg ist ne arme Stadt. Wenn der Kuchen nur so klein ist, hast du Angst vor Mitbewerbern.“

Foto: Felix Hecker

Grund dafür sei auch fehlende Aufklärung. Das unabhängige ZK ist eine der wenigen Einrichtungen im knapp 500.000 Ein­woh­ne­r*in­nen starken Duisburg, die sich überhaupt mit Antiziganismus beschäftigen. Um für Begegnung und Öffentlichkeit zu sorgen, organisieren Wiese, Ulucan und Steffen seit einiger Zeit Kundgebungen, Info-Veranstaltungen, sind bei Räumungen zugegen. Ziel sei nicht, für die Betroffenen zu sprechen, sondern ihnen zu helfen, sich selbst zu organisieren.

Auch mit Kulturangeboten will das ZK den Zusammenhalt im Viertel stärken und veranstaltet deshalb vom 19. bis 21. August zum zweiten Mal das „Fest der Vielen“ im Hochfelder Rheinpark. […]

Während am Rhein schon jetzt die weiße Mittelschicht ihren Aperol in der Abendsonne genießt, füllt sich auch das ZK langsam. Das gelbe Licht einer Straßenlaterne fällt auf die Gesichter der Leute und leise Funk-Musik schallt durch das gekippte Fenster. Wiese, Steffen und Ulucan sind zufrieden mit ihrem Kiez, wie er ist. „Das ist neben Marxloh der einzige urbane Stadtteil im westlichen Ruhrgebiet“, sagt Steffen. „Hier kannst du 24/7 einkaufen, kriegst mitten in der Nacht noch was zu essen. Wo gibt es das sonst in Duisburg?“

Die drei fürchten, dass die Zwangsräumungen auch etwas mit den großen Plänen der Stadt zu tun haben könnten. „Die wollen die Rumänen hier weghaben“, sagt Ulucan. Seitens der Stadt wird jeglicher Zusammenhang zwischen Großprojekten und Räumungen dementiert.

Pressebericht über die Angst der Duisburger Sinti

„Sinti-Familien leben seit Jahrzehnten in Duisburg. Jetzt fordert der Duisburger Sinti Verein als Vertreter in einem Offenen Brief langfristige Sicherheiten gegenüber der Stadt – und ein Ende von Diskriminierung.

Die Vertreter wollen, dass „die kontinuierliche Verfolgung, die Holocaust-Überlebende zu Obdachlosen macht“, beendet wird, dass sie ein würdevolles und gewaltfreies Leben führen können und dass die Stadt Duisburg die Gewaltverbrechen des Zweiten Weltkriegs aufarbeitet, inklusive eines Denkmals. […]

Diese Plätze wurden den Familien Anfang der 70er Jahre nach Umsiedlungen zur Verfügung gestellt, erzählt Siegfried Mettbach. Nur schriftlich bekamen sie nie etwas, und deshalb leben sie in fortwährender Angst, dass sie vertrieben werden könnten. „Das ist kein gutes Gefühl.“ „Wir sind da integriert, wir pflegen eine gute Nachbarschaft“, betont Mettbach.

Mit Elli Mettbach wohnt noch eine Überlebende des Holocaust auf dem Platz in Neuenkamp. Ihre Enkelin Jasmin möchte mit ihren drei Kindern dorthin ziehen, um die Oma zu unterstützen. Das aber untersage die Stadt Duisburg, berichtet Jasmin Mettbach. Seit Jahren kämpfe sie dafür, „ich bin da aufgewachsen, ich möchte wieder dahin zurück.“ Auch ihre Schwester Janett wartet auf eine Rückkehrchance. […]

Angesichts der Gräueltaten seien auch die nachfolgenden Generationen noch traumatisiert, so Reinhardt. „Wir alle haben das Erlebte mit aufgearbeitet.“ Noch Anfang der 2000er Jahre sei die „blonde“ Freundin seines Sohnes gewarnt worden, dass der Junge „kein Umgang“ für sie sei. „Uns wurden immer Steine in den Weg gelegt.“

Ihre Generation sei nun aber die, die die Kraft habe, die Kinder anzuschieben, damit aus ihnen etwas wird: Sie werden Erzieherinnen, arbeiten im Hafen, studieren“, erzählen sie stolz. Jasmin Mettbach gehört mit Ende 30 noch zu jenen, die die Traumata der Vorväter aufarbeiten, sie lebt von Hartz IV, träumt davon, einem Beruf nachzugehen.

Den Verein haben sie gegründet, um eine stärkere Stimme zu haben, erklärt Mario Reinhardt. „Wir sind Sinti und deutsche Staatsbürger“, betont er. Die tägliche Diskriminierung habe sich aber nicht gelegt. „Wir müssen uns unser ganzes Leben lang beweisen, da ist man irgendwann ausgelaugt.“

Das Grundstück in Neuenkamp gehört dem städtischen Immobilien-Management Duisburg (IMD), erklärt eine Sprecherin der Stadt. Das Amt für Soziales und Wohnen habe die Fläche für die jetzigen Bewohner von der Stadttochter angemietet. Sie seien dort regulär gemeldet.

Manche hätten eigene Wohnwagen, anderen werde für den Platz in den Wagen und Containern sieben Euro pro Quadratmeter in Rechnung gestellt. Die Stadtsprecherin sagt, dass die Situation ein bisschen kompliziert sei, weshalb es keine Mietverträge gebe. Familien, die im Leistungsbezug sind, hätten stattdessen im Rahmen einer Ordnungsverfügung ein Wohnrecht.

Es gebe keine Pläne, die Plätze freizuziehen, betont die Stadtsprecherin. Im Gegenteil gebe es regelmäßige Kontrollen, um zu vermeiden, dass Mängel dazu führen, dass die Plätze für unbewohnbar erklärt werden müssten. Sie spielt damit auf Einsätze der Task Force an, die Schrottimmobilien untersucht und Bewohner aus Sicherheitsgründen die weitere Nutzung untersagt.

In einer Ratsvorlage aus dem Jahr 2002 wird festgehalten, dass „keine weiteren zusätzlichen Mitglieder anderer Sinti-Familien hier angesiedelt werden“. Damals ging es um zwölf Familien mit 55 Personen, die an drei Standorten lebten. Ob diese Regel auch gilt, konnte die Stadt bis zum Donnerstagabend nicht sagen. Es wurde attestiert, dass „starke Bindungen unter den Bewohnern und eine damit verbundene Akzeptanz entstanden sind, die man erhalten sollte. Konflikte mit der angrenzenden Bevölkerung sind nicht bekannt.“

Offener Brief der Duisburger Sinti & Einladung zur Pressekonferenz

Offener Brief der Duisburger Sinti an

Oberbürgermeister Sören Link

Dezernat für Bildung, Arbeit und Soziales, insb. Amt für Soziales und Wohnen

Dezernat für Umwelt und Klimaschutz, Gesundheit, Verbraucherschutz und Kultur

Und Einladung zur Pressekonferenz am Mittwoch, 22.06.22, ab 10 Uhr, im Zentrum für Kultur Hochfeld, Sankt-Johann-Straße 18, 47053 Duisburg

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir, der Duisburger Sinti Verein, bemühen uns um die Rechte und Anerkennung der Duisburger Sinti. Wir verstehen uns als Teil der Duisburger Stadtgesellschaft und sind hier seit über hundert Jahren mit unseren Familien verwurzelt. Die Sichtbarkeit unserer Community und die Verbesserung ihrer Lebenssituation sind uns ein besonderes Anliegen.

Wir wenden uns an Sie, da wir über folgende Punkte mit Ihnen ins Gespräch gehen wollen:

Unsere zentrale Forderung lautet, dass die kontinuierliche Verfolgung, die Holocaust-Überlebende zu Obdachlosen macht, beendet werden muss. Des Weiteren fordern wir, dass wir Duisburger Sinti nicht als Menschen zweiter oder dritter Klasse behandelt werden, sondern für uns das Recht einfordern, ein würdevolles, gewaltfreies Leben in Duisburg führen zu können. Als Sinti sind wir seit über hundert Jahren ein Teil unserer diversen Stadtgesellschaft.

Damit geht die Anerkennung des begangenen Unrechts durch die Stadt Duisburg einher und eine angemessene Aufarbeitung der Gewaltverbrechen im Zweiten Weltkrieg sowie der Aufarbeitung der Verfolgung der Sinti nach 1945, wie es auch der Abschlussbericht der Untersuchungskommission Antiziganismus fordert. Dies soll insbesondere aus einer historischen Verantwortung der Stadt Duisburg heraus durch ein Denkmal geschehen.

Wir fordern zudem die Förderung von safer spaces für die Community durch die explizite Förderung der Selbstorganisation und der Kultur, insbesondere auch nach dem Gesetz zur Förderung von Minderheitensprachen (EU-Rahmenübereinkommen zur Sprachencharta) sowie dem Erhalt, Schutz und Instandhaltung des Lebensraumes der Sinti-Familien, die noch auf Plätzen leben.

Dieser Platz bietet uns Sicherheit und ist der Ort, an dem unsere Familien, Auschwitz-Überlebende, seit Jahrzehnten leben. Für unser Anliegen fordern wir konkrete Ansprechpartner:innen und Verantwortungsübernahme durch die Stadt Duisburg.

Konkret fordern wir:

  1. Erhalt der Plätze Essenberger Straße und Obermeidericher Straße
  2. Aufhebung der Beschränkung, dass die Familienangehörigen auf den Plätzen nicht wieder wohnen dürfen; und somit die Schaffung der Freizügigkeit für weitere Familienangehörigen zur Ansiedlung und Wohnrecht auf dem Platz
  3. Anerkennung der bisherigen Obdachlosenunterkünfte als Sinti-Plätze
  4. Umsetzung eines Gedenkortes an die ermordeten Duisburger Sinti, in enger Absprache mit der Community
  5. Förderung der Sprache und Kultur der Duisburger Sinti

Wir bitten daher um ein Gesprächsangebot noch vor den Sommerferien durch die von uns adressierten Stellen. Wir wurden schon viel zu lange nur mit Worten hingehalten.

Mit freundlichen Grüßen

Duisburger Sinti Verein i.G.

duisburgersinti@web.de

Bericht über die Kundgebung

„Unter den Anwesenden war aber eine Familie, deren Wohnung im Februar an der Gravelottestraße geräumt wurde. Der Verein „Solidarische Gesellschaft der Vielen“, der auch die Kundgebung organisierte, hatte der Familie zur Seite gestanden und etwa beim Übersetzen oder bei der Kommunikation mit den Ämtern geholfen.

[…] Andy, selbst Roma, übersetzt die Berichte für die Teilnehmer der Kundgebung auf Deutsch – und die Solidaritätsbekundungen der Hochfelder für die Familie. Klaus Steffen fordert stellvertretend für den Verein: „Eine Häuserräumung kann nur das allerletzte Mittel sein, in einem ordnungsamtlichen Vorgang zwischen den Vermietern und den Behörden. Die Behebung von gravierenden Mängeln und die Verhinderung von Wohnungslosigkeit müssen weiterhin im Vordergrund stehen.“ Und weiter: „Wir fordern umfassende Transparenz und eine Informationspflicht über anstehende Räumungen seitens der Behörden: nicht nur an die Vermieter, sondern vor allem an die unmittelbaren Leidtragenden: die Bewohner.“ Diese müssten von der Stadt frühzeitig in ihrer Muttersprache informiert werden.“