Pressemitteilung zur Veranstaltung „Die Situation der Sinti in Duisburg- Kontinuitäten der Ausgrenzung und Kämpfe für Menschenwürde“

Wie viele andere Sinti-Familien leben die Mettbachs und Reinhardts seit über hundert Jahren in Duisburg. Ihre Angehörigen wurden während des Holocaust ermordet, einige konnten überleben und wohnen seitdem weiterhin in Duisburg. Sehr eindrücklich haben die direkten Nachfahren von Duisburger Holocaust-Überlebenden, Sigfried Mettbach, Mario Reinhardt und Cornelia Reinhardt, über ihre Kämpfe gegen die Kontinuitäten der Ausgrenzung durch die Stadt und unwürdigen Behandlungen im Alltag berichtet. Die Familien erzählten insbesondere von ihrer Angst, von der Stadt Duisburg in die Obdachlosigkeit getrieben zu werden.

Siegfried Mettbach, Mario Reinhardt, Cornelia Reinhardt vom Verein der Duisburger Sinti in Gründung; Serçe Berna Öznarçiçeği von Čirikli e.V. als Moderation und Raxonna-Lorraine Witt von save space e.V.; Bild von Amdrita Jakupi

„Wir haben Zukunftsangst! Immer dieser Gedanke: Hoffentlich kommt morgen nicht die Stadt und reißt uns aus unserem Lebensumfeld.“ Mario Reinhardt

Eine zentrale Forderung auf dem Podium lautete, dass die kontinuierliche Verfolgung, die Holocaust-Überlebende zu Obdachlosen macht, beendet werden muss. Des Weiteren fordern sie, dass die Duisburger Sinti nicht als Menschen zweiter oder dritter Klasse behandelt werden, sondern für sich das Recht einfordern, ein würdevolles, gewaltfreies Leben in Duisburg führen zu können. Als Sinti sind sie seit über hundert Jahren ein Teil unserer diversen Stadtgesellschaft.

“Unsere Leute wurden in Auschwitz vergast. Wir sind es unseren Kindern schuldig, das weiterzugeben, was wir sind – und uns nicht zu verstecken.“ Cornelia Reinhardt

Damit einher geht die Anerkennung des begangenen Unrechts durch die Stadt Duisburg und eine angemessene Aufarbeitung der Taten im Zweiten Weltkrieg sowie der Aufarbeitung der Verfolgung der Sinti nach 1945, wie es auch der Abschlussbericht der Untersuchungskommission Antiziganismus fordert. Dies soll insbesondere aus einer historischen Verantwortung der Stadt Duisburg heraus durch ein Denkmal und die Förderung von safer spaces für die Community durch die explizite Förderung der Selbstorganisation und der Kultur, insbesondere auch nach dem Gesetz zur Förderung von Minderheitensprachen (EU-Rahmenübereinkommen zur Sprachencharta) sowie dem Erhalt, Schutz und Instandhaltung des Lebensraumes der Sinti-Familien, die noch auf Plätzen leben, geschehen.

„Irgendwann ist einmal Schluss!“ Sigfried Mettbach

Die Duisburger Sinti fordern ein Ende der kontinuierlichen Ausgrenzung sowie Stigmatisierung ihrer Community und Familien und dass sie als Familien ihren Platz bewohnen dürfen, der durch die kontinuierlichen strukturellen Ausgrenzungen zu ihrem safe space geworden ist. Dieser Platz gibt ihnen Sicherheit und ist der Ort, an dem sie seit Jahrzehnten leben. Für ihr Anliegen fordern sie konkrete Ansprechpartner:innen und Verantwortungsübernahme durch die Stadt Duisburg.

Wir unterstützen ihren Kampf gegen strukturellen Rassismus, gegen die kontinuierliche Ausgrenzung und für Menschenwürde.

Familie Mettbach, Familie Reinhardt, Verein der Sinti in Duisburg i.G., save space e.V., Solidarische Gesellschaft der Vielen e.V., Cirikli e.V., Goosebumps i.G., Lokal Harmonie, Djäzz, Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung

Eindrückliche Stimmen der Duisburger Sinti

Rückblick zur 1. Veranstaltung der Veranstaltungsreihe „Situation der Sinti in Duisburg“, am 7.11.21 im Lokal Harmonie

Sehr eindrücklich haben die direkten Nachfahren von Duisburger Holocaust-Überlebenden, Sigfrid Mettbach, Mario Reinhardt und Cornelia Reinhardt über ihre Kämpfe gegen die Kontinuitäten der antiziganistischen Ausgrenzung und unwürdigen Behandlungen berichtet. Die Familien berichten insbesondere von ihrer Angst, von der Stadt Duisburg in die Obdachlosigkeit getrieben zu werden. Ihr Wunsch ist es, als Familie ihren Platz bewohnen zu dürfen, der durch die strukturellen Ausgrenzungen zu ihrem safe space geworden ist. Sie finden bei der Stadt Duisburg aber seit Jahrzehnten keine Ansprechpartner:innen, die ihre Sorgen, Wünsche und Forderungen ernst nehmen. Eine zentrale Forderung lautet, dass die Betroffenen nicht als Menschen zweiter oder dritter Klasse behandelt zu werden, sondern einfach als Mensch, mit Rechten und Würde.

Falls ihr den in Gründung befindlichen Verein der Duisburger Sinti unterstützen möchten, wendet euch gerne an uns. Wir leiten den Kontakt dann weiter.

Den aufgezeichneten Livestream könnt ihr immer noch über diesen Link anschauen.

(v.l.n.r. Sigfrid Mettbach, Mario Reinhardt, Cornelia Reinhardt vom Sinti-Verein Duisburg in Gründung, Serçe Berna Öznarçiçeği von Čirikli e.V. als Moderation und Raxonna-Lorraine Witt von save space e.V.)

Mit unserer Veranstaltung wollen wir betroffene Familien in ihrem Kampf um Anerkennung unterstützen. Wir freuen uns sehr, dass sich ein so breites Unterstützer-Netzwerk herausgebildet hat: Getragen wird die Veranstaltung durch den neuen Duisburger Sinti Verein i.G., den ebenfalls neuen Goose Bumps i.G., Čirikli e.V., save space e.V., das Lokal Harmonie, das Djäzz, das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung und uns.

Vielen Dank an das Lokal Harmonie für die Organisierung und die Bereitstellung Eures schönen Raumes!

Informationen zu den folgenden Terminen findet ihr zeitnah hier und auf unseren social media-Kanälen!

Veranstaltungsreihe: Situation der Sinti in Duisburg

Kontinuitäten der Ausgrenzung und Kämpfe für Menschenwürde

Seit über 500 Jahren leben Sinti:zze in Europa. Auch in Duisburg sind sie seit jeher ein Teil der Stadtgesellschaft. Dennoch bleiben sie aufgrund andauernder Stigmatisierung und struktureller Ausgrenzung unsichtbar.

In der Vergangenheit waren Sinti:zze in Deutschland mehreren Pogromen ausgesetzt. Während des Zweiten Weltkrieges wurden im Holocaust über Hunderttausende Rom:nja und Sinti:zze ermordet. Das Gedenken an diesen Völkermord wird gesamtgesellschaftlich und vor allem in Duisburg kaum wahrgenommen.

In Duisburg erleben wir seit Jahren eine dramatische Zuspitzung. Alltagsrassismus, bis hin zu Zwangsräumungen gefährden die Sicherheit und das Leben vieler Sinti:zze. Der legitimierte Rassismus findet in der Stadtgesellschaft bis hin zur Politik weitestgehend Zustimmung. Dieses Klima spaltet den Zusammenhalt in der Stadtgesellschaft und markiert einen klaren Sündenbock für soziale Probleme. Dabei ist die Bekämpfung von Rassismus gegen Sinti:zze die Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe und eine gemeinsam gestaltete Zukunft.

Mit unserer Veranstaltung wollen wir betroffene Familien in ihrem Kampf um Anerkennung unterstützen. Die verschiedenen Lebenswelten, Erfahrungen und Forderungen sind im Zentrum der Frage, was politisch und strukturell passieren muss, um die Gleichberechtigung und Partizipation der Sinti:zze -Community zu gewährleisten.

Am So., den 7.11.21, werden Sigfrid Mettbach, Mario Reinhardt und Cornelia Reinhardt, als direkte Nachfahren von Holocaust-Opfern, über ihre Erfahrungen in Duisburg sprechen.

Gefördert durch Interkultur Ruhr

Erste Impressionen vom ersten „Fest der Vielen“

Mit Dank an den Fotografen Marcel Kaya!

WAZ-Artikel: „Der Anlass zur Gründung war Wut.“

Wir haben in diesem Interview umrissen, warum wir wütend sind, warum wir den Verein gegründet haben und was wir vorhaben. Es geht aber nicht darum, dass „wir“ den „Zugewanderten“ eine Stimme geben. Es geht darum, dass den marginalisierten Stimmen und den Betroffenen von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt endlich zugehört wird, dass diese ernst genommen werden und um überfällige strukturelle Veränderungen.

„In Duisburg-Hochfeld gibt es einen neuen Verein. Der „Verein für die solidarische Gesellschaft der Vielen“ ist seit ein paar Monaten in dem Stadtteil aktiv und veranstaltet am Samstag, 28. August, ab 15 Uhr im Rheinpark das sogenannte „Fest der Vielen“. Vor ein paar Wochen haben die Mitglieder eine Veranstaltung in der Liebfrauen-Kirche mitorganisiert, die sich mit dem Selbstverständnis und Vorurteilen gegenüber Sinti und Roma auseinandergesetzt hat. Im Gespräch erklärt die Vorsitzende Lena Wiese, was sie und ihre Mitstreiter erreichen wollen.

„Verein für die solidarische Gesellschaft der Vielen“ ist ein ganz schön sperriger Name. Gab es einen konkreten Anlass für die Gründung?

Wir haben uns Ende letzten Jahres überlegt, etwas zu unternehmen, und dass es so einen Verein braucht. Uns hat unsere Wut und der Frust über die lebensfeindlichen Zustände und die strukturelle Entrechtung von marginalisierten Menschen in Duisburg angetrieben. Wir wollen langfristig Aufklärungsarbeit leisten.

Sie beziehen sich auf die verschiedenen Häuserräumungen in Hochfeld, richtig?

Ja, das stimmt. Das sind schlimme Erfahrungen, die die Betroffenen machen. Wir erleben hier eine andauernde Menschenrechts-Krise, die von den Verantwortlichen schöngeredet wird. So, wie es derzeit ist, kann es nicht bleiben. Als Verein sind wir bundesweit vernetzt, wirken aber direkt im Stadtteil.

Mit wem arbeiten Sie auf Bundesebene oder in Duisburg zusammen?

In Duisburg ist es zum Beispiel das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung. Überregional werden wir bald Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband und sind Mitglied beim VIA – Verband für Interkulturelle Arbeit. Bundesweit sind wir mit zivilgesellschaftlichen Bündnissen vernetzt. So zum Beispiel mit Initiativen, die mit Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt zusammenarbeiten.

Was ist das wichtigste Anliegen des Vereins?

Zentral ist für uns, Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen für diejenigen, die von vornherein ausgeschlossen sind, aber Teil dieser Stadt sind. Dafür ist die konsequente Benennung von institutionellem Rassismus und sozialer Diskriminierung absolut notwendig. Es ist wichtig, dagegen anzugehen. Wir setzen unsere Energie daran, alternative Wege für den Aufbau einer vielsprachigen und diversen Stadtgesellschaft zu schaffen und marginalisierte Perspektiven und Stimmen sichtbar zu machen.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Stadt Duisburg Rassismus vorgeworfen wird. Erst jüngst hatte sich Dezernent Paul Bischof entschieden dagegen gewehrt und betont: „Wir behandeln alle Menschen in Duisburg gleich, sowohl in unterstützenden als auch in ordnungsrechtlichen Angelegenheiten. Wir verstehen uns über alle Gruppen hinweg als eine solidarische Stadt. Und so handeln wir auch.“ Gleichwohl ist nach den Häuserräumungen der Task Force „Schrottimmobilien“ an der Gravelottestraße und der Brückenstraße wieder Kritik am Vorgehen der Stadt laut geworden.

Andere soziale Träger berichten, dass es schwer ist, Kontakte zur Community der Zugewanderten zu bekommen. Haben Sie einen Draht zu den Menschen?

Wir sind im Stadtteil verwurzelt und kennen viele Leute aus unserem alltäglichen Leben. Auch dadurch haben wir Einblicke in die diversen Lebensrealitäten und wissen um das Misstrauen gegenüber städtischen Institutionen. Es geht hierbei auch nicht vordergründig um Vorwürfe gegen einzelne Mitarbeiter, sondern darum, ein Bewusstsein für strukturelle Probleme der Institutionen zu schaffen. […]“

https://www.waz.de/staedte/duisburg/verein-aus-hochfeld-will-zugewanderten-eine-stimme-geben-id233140597.html